Teilnehmer: Mirian, Norbert
Strecke: Mauvoisin - Lac de Tsofeiret - Cabane de Chanrion
Karte: Wallis, 1:120.000, Kümmerley+Fey
Übernachtung: Cabane de Chanrion
Bewertung: **
Kosten: 63 CHF für das Bettenlager mit Halbpension (pro Person)
Auch an diesem Morgen hatten wir uns Zeit gelassen. Gut gefrühstückt, unsere Sachen nochmals sauber gepackt und verzweifelt versucht einen Wanderer zu finden, der ein Ladegerät für meine Kamera (Canon IXUS) hat. Leider: Fehlanzeige. Also gibt es für diese Tour nur Bilder aus dem Internet...
Wir gönnten uns auf der sonnigen Terrasse des netten Hotels noch Café und trafen auf ein sehr nettes Paar aus der Schweiz, die an diesem wunderbaren Tag von hier einen Spaziergang planten. Sie, Schweizerin, er Portugiese... Dies führte dazu, dass wir uns in den nächsten beiden Stunden, die beiden begleiteten uns auf dem ersten Teil unserer Tour für heute, abwechseln Deutsch, Englisch und Portugiesisch sprachen...
Auch die Kombination, Mirian Ärztin, er Krankenpfleger und sie in der Ausbildung zum Heilpraktiker bat einigen Gesprächsstoff. Auf die Frage, wie lange sie schon zusammen sind, antworteten die beiden "seit gut einer Woche", und so wollten wir das "junge Glück" nicht all zu lange in Beschlag nehmen.
Möglich waren uns drei Wege, wie unten auf der Karte dargestellt. Wir wählen, den uns empfohlenen Weg, mit der Nummer 1. Er war recht angenehm in wenigen Stunden zu gehen, da sein Anstieg recht moderat. Das war auch einer der Gründe, warum wir recht spät starteten.
Nachdem wir die Staumauer hochgekraxelt waren, schlängelte sich der Weg links am Stausee vorbei, durch in den Fels gehauene Wege, die immer wieder den Blick auf den See freigaben. Das Wetter war wieder phantastisch und die den Fels in den See hinabstürzenden Wasserfälle, unter denen man zum Teil hinweg lief, atemberaubend.
Der Weg konnte in moderater Steigung sehr entspannt gelaufen werden und gab immer wieder beeindruckende Ausblick auf die Berge frei. An einer Stelle, kurz vor dem Lac de Tsofeiret, legten wir eine kleine Pause ein, da wir es heute sehr entspannt angehen konnten. Während dieser Pause erlebten wir eine skurrile Situation als zwei Jagdflugzeuge durch das angrenzende Tal donnerten. Wir waren fast auf Augenhöhe mit dem Piloten. Das erlebt man nicht so oft...
Am Lac de Tsofeiret haben wir eine wunderbare längere Pause eingelegt. Dieser Kreisrunde und nicht sehr tiefe See lädt dazu ein. Rings um den See konnte man sich auf einer Wiese mit Alpengräsern niederlassen. Lieder haben sie im August nicht mehr so schön geblüht wie an einem Spätfrühlingstag auf diesem Foto. So waren wir auch nicht die einzigen Gäste hier. Wir sind ein wenig durchs Wasser gewatet und haben anschließend entspannt unsere "Zeit" lesen können. Wir durften ja nicht zu früh an der Hütte erscheinen.
Auf dem letzten Stück diesen Tages bereiteten wir uns schon mal auf den freudigen Empfang in der Hütte vor. Obwohl nicht angemeldet, bereitet der Blick einer Alpenhütte nach einer Tagestour ein sehr wohliges Gefühl. Das längere Wandern durch teilweise unwirtliche Gegenden in schroffen Gestein mit wenig Vegetation, verstärkt die Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit. Nur mussten wir uns diese erst einmal "erkämpfen"...
Nach dem Eintritt in die Hütte wurden wir erste einmal ein wenig ungläubig gemustert. Dann kam die erwartete Frage, ob wir denn einen Platz gebucht hätten. Das haben wir wahrheitsgemäß verneint. Dann sagte uns der Wirt, dass wir hier nicht bleiben können. Wir fragten ihn, wo wir denn hingehen könnten. Die erwartete Antwort war "nirgends". Dann ließen wir die obligatorische unfreundliche Belehrung über uns ergehen, und bekamen unser Quartier zugewiesen.
Beim Betrachten den Sonnenuntergangs auf dem kleinen Felsvorsprung vor der Hütte erlebten wir direkt vor uns die Landung eines Rettungshubschraubers. Zwei recht unsportlich wirkende ältere Einzelwanderer, zumindest erschien es uns so, wurden in der Dämmerung aus einer Gefahrensituation in den Bergen befreit und zur Hütte geflogen. Wirklich spannend, einen Hubschrauber auf so engstem Raum landen und starten zu sehen. Die Crew begrüßte als erstes die in der Hütte anwesenden Bergführer. Sie scheinen sich wohl öfters zu begegnen. Dann wurden die beiden Geretteten aus dem Hubschrauber befördert und alle Personendaten aufgenommen. Zum Glück ist uns solch ein peinliches Erlebnis erspart geblieben. Ich möchte auch nicht wissen, was das gekostet hat. Die beiden haben sich aber nicht besonders unwohl gefühlt und gleich am nächsten Morgen in voller Montur mit Steigeisen ausgerüstet Richtung Hochgebirge bewegt. Vielleicht haben sie diesen Hol-Dienst in die Reisekalkulation mit eingeplant...
An diesem Abend lernten wir eine sehr nette Familie aus Katalonien kennen. Vater/Mutter um die 60 und ihre 30 jährige Tochter. Alle unglaublich sportlich. Die Tochter, deren katalanischen Name ich leider vergessen habe, leidete unter großem Liebeskummer und die gesamte Familie war sehr emotional und liebevoll in ihrer Art miteinander umzugehen. Die Tochter lebt in der Schweiz und sie liefen des Route um den "Gran Combin". Für deutsche Verhältnisse wahrscheinlich unvorstellbar, dass man fremden Menschen von seinen verletzten Gefühlen erzählt. Selbst für mich Rheinländer, der sein Herz auf der Zunge trägt, erfrischend ungewöhnlich. In Deutschland spricht man selbst mit engen Freunden über Verletzung und Trauer und bewertet solch eine Offenbarung als Schwäche. Tolle Frau, tolle Familie...
Beim Abendessen hatte jeder Gast seinen nummerierten Platz. Die äquivalente Schlafplatznummer war auf den Tisch geklebt, so dass jeder ein genaue Vorgabe hatte auf welcher Position er auf der Bank zu sitzen hatte. Das wäre ja noch schöner, wenn die Gäste sich hinsetzen würden, wo sie wollten... Wir saßen zu Glück mit der katalanischen Familie zusammen, hatten viel Spaß und zusammen ein gute Flasche Wein getrunken. Die Eltern sprachen überwiegend Spanisch, was Mirian als Brasilianerin verstand, dann wechselten wir ins Englische, damit ich dem Gespräch ein bisschen besser folgen konnte.
Um ca. 22:00 war Zapfenstreich und ich hatte in der warm-schwülen Luft der Hütte zusammen mit dem Wein viel Wasser getrunken. Da wir Spaß hatten, waren wir die letzen im Schlafsaal. Das Bettenlager bestand aus zwei übereinander gezimmerten Holzpodesten, welche sich über den gesamten Raum erstreckten. Ohne undankbar sein zu wollen, hatte der Raum die Atmosphäre eine Notlagers. In diesem nicht wirklich großen Raum waren alle ca. 40 Schlafplätze belegt. Ich zwängte mich auf meinen Liegeplatz auf der oberen Etage und musste schauen, dass ich meine beiden Arme eng an den Körper lehnte, so dass ich meine beiden Nachbarn nicht berührte. Mirians Schlafplatz befand sich auf der unteren Etage. Das wir nebeneinander schliefen, sah die strikte Ordnung nicht vor. Ich glaube schon, dass ich ein haptischer Mensch bin, der gerne in Körperkontakt auch mit ihm unbekannten Menschen tritt, aber das war auch für mich hart. Gut, man verschafft so möglichst vielen Menschen eine Unterkunft in den Alpen und wir hatten als nicht angemeldete Gäste sich keine Berechtigung uns zu beschweren.
Erschwerend kam in der Nacht aber hinzu, dass meine Blase drückte, ja so richtig drückte. Ich hatte doch ein wenig zu viel Wasser an dem Abend getrunken. Was sollte ich machen? Mich wieder aus dem Schlafsack schälen? Meine mit mir potentiell in Körperkontakt stehenden Nachbarn würde ich sicherlich sofort wecken. Wie kam ich zur Toilette? Wie kam ich im Dunklen von der oberen Etage auf den Boden? Ich hatte keine Lampe zur Hand und auf der unteren Etage lagen Rucksäcke, Wecker, sonstiges Material und vor allem die Arme anderer Gäste, die in diesem Raum schliefen. Wie würde ich meine enge Schlafstelle, nach dem Toilettenbesuch wiederfinden. Quälende Fragen, die mich dazu bewegten zu warten, bis der Schmerz schließlich die Erträglichkeit überschritten hatte. Ich robbte vom oberen Plateau so vorsichtig wie es ging auf den Boden, brachte einige Gegenstände zum Umfallen und schlich mich anschließend im Dunklen zur erlösenden Toilette. Was für eine Nacht...
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